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Definition und Abgrenzung von Spielverhalten

Spielverhalten bei Tieren kann zwei Kategorien zugeordnet werden. Dem Spielen mit sich selbst, zu dem auch das Spiel mit Gegenständen gehört, oder dem sozialen Spiel. Ob Ratten allein spielen bzw. mit Objekten, lässt sich schwer feststellen. Das berühmte Spiel mit der Katzenangel, der die meisten Ratten so gerne hinterherhetzen, lässt nicht erkennen, ob die Tiere den Gegenstand als ernsthafte Möglichkeit zur Jagd und anschließender Nahrungsaufnahme betrachten, oder ihn als "sinnlos" und aus reinem Spaß am Spiel wahrnehmen. Letzteres halte ich aufgrund ihrer scharfen Sinne für durchaus möglich - immerhin sollten sie riechen und aus der Erfahrung mit dem Gegenstand gelernt haben, dass die Katzenangel keine Nahrung verspricht. Dennoch soll es hier nicht um das (auf jeden Fall seltene) Objektspiel bei Ratten gehen.

Spiel wird definiert als "lustbetontes Ausprobieren motivierten Verhaltens ohne den dafür typischen Ernstbezug." (Gattermann 2006, S.302). Durch den fehlenden Ernstbezug unterscheidet sich Spiel auch klar von Erkundungsverhalten, welches manchmal fälschlicherweise mit Spiel in Zusammenhang gebracht wird. Erkundungsverhalten ist aber vielmehr das ernste Gegenteil von Spiel, bei dem es zudem auch keine übertriebenen Verhaltensweisen gibt und keinen Kontrollverlust über die eigenen Bewegungen, die weitere Merkmale von Spielverhalten darstellen (mehr zu den konzeptionellen Unterschieden von Spiel- und Erkundungsverhalten siehe Spinka et al 2001, S.144).

Spielkämpfe bei Ratten

Das soziale, also gemeinschaftliche Spiel bei Ratten besteht aus vielen unterschiedlichen Verhaltenselementen. Es sind sexuelle Verhaltensmuster wie das Aufreiten erkennbar oder Jagd- und Fluchtverhalten - alles in abgewandelter oder übertriebener Ausprägung.
Am Häufigsten lässt sich soziales Spiel in Form von Spielkämpfen beobachten. Spielkämpfe bestehen ebenso wie echte Kämpfe aus Angriff und Verteidigung. In der Regel werden die Spielkämpfe durch wilde Luftsprünge Richtung Nackenbereich des Spielpartners eingeleitet, was als Spielaufforderung angesehen werden kann (Meaney, Stewart 1981, S.35). Die "Angreifer" beißen jedoch selten in den Nacken, wenn dann nur leicht. Analysen von Spielkämpfen bei Jungtieren haben gezeigt, dass die überwiegenden Nackenkontakte darin bestehen, den "Gegner" mit der Unterseite der Schnauze im Nacken lediglich zu berühren. Manchmal werden diese Berührungen mit fahrigen Schnauzenbewegungen durch das Fell verstärkt (Pellis, Pellis 1987, S. 231).

PANKSEPP et al haben herausgefunden, dass der Nackenbereich bei jungen Ratten "kitzlig" ist, bei dessen Berührung im Rahmen von Balgereien die Ratten Zwitscherlaute im für uns nicht hörbaren Bereich von 50kHz erzeugen. PANKSEPP hat dies medienwirksam als "Lachen" bezeichnet und wurde dafür bei Rattenhaltern in der ganzen Welt berühmt. Diese Kitzligkeit im Nackenbereich nimmt jedoch mit dem Alter der Tiere wieder ab (Panksepp 2003, S.537).

Alle zu beobachtenden Bewegungen während eines Spielkampfes folgen der Angriffs- und Verteidigungsstrategie, den Nacken zu berühren und diese Berührung zu verhindern bzw. abzuwehren (Pellis et al, 1997, S.106 und siehe Abbildung).
Gewinner einer Spielrunde ist die Ratte, die den Gegner erfolgreich kurz auf den Rücken fixieren kann (sog. "pinning").

 

 

 

Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen

Spielkämpfe werden von Männchen häufiger ausgeführt, als von Weibchen. Weibchen lassen sich auch weniger auf Anspielversuche ein, wenn sie von Weibchen ausgeführt werden. Weibchen können zudem früher auf kommende Nackenattacken reagieren, als Männchen. Das mag daran liegen, dass Weibchen in einigen Bereichen bessere sensorische Fähigkeiten haben, vor allem was das Sehen und den Tastsinn betrifft. Das erlaubt ihnen, früher zu reagieren (Pellis et al, 1997, S.110).

Die Entwicklung von Spielverhalten

Die Spielkämpfe beginnen bei Ratten etwa in einem Alter von 18-19 Tagen, also kurz vor der Entwöhnung von der Mutter, und erreichen die höchste Häufigkeit zwischen dem 30. und 40. Tag. Danach sinkt die Spielhäufigkeit sukzessive (Baenninger 1967, S.319; siehe auch Abbildung 2).

Entwicklung des Spielverhaltens
Quelle: Meaney, Stewart 1981; Bearbeitung und zus. Erläuterung/Empfehlung: Rattenkultur

Auch erwachsene Ratten führen noch Spielkämpfe aus, jedoch sehr viel seltener (Pellis et al, 1997, S.106).
Meine eindrücklichste Beobachtung war bei einer Vergesellschaftung zweier Pflege-Böckchen, die bereits ca. 1,5 Jahre alt waren. Am zweiten Tag der Integrationstreffen fingen sie an miteinander zu spielen. Durch diesen freundschaftlichen Umgang konnten sie den jeweils anderen auf entspannte Weise kennenlernen, seine Kräfte und Absichten einschätzen und so ihr zukÃünftiges Verhältnis ohne Verletzungsrisiken regeln. Und tatsächlich nutzen erwachsenen Ratten den Spielkampf genau dafür. Die Professorin Kelly Lambert hat dies treffend als Diplomatie bei Ratten bezeichnet (Lambert 2011, S. 111 ff.).

Solche spielerischen Kontakte im Erwachsenenalter stellen vor allem für rangniedere Tiere eine Möglichkeit dar, mit der dominanten Ratte im Rudel ein enges freundschaftliches Verhältnis aufzubauen bzw. zu halten. In freier Natur profitieren solche Tiere vermutlich durch die damit entstehende Nähe zum Alpha-Tier, indem sie besseren Zugang zu Nahrung und Weibchen erhalten (Pellis et al 1993, S. 390ff).

Unterscheidungsmerkmale Spielkampf vs. echter Kampf

Für Anfänger in der Rattenhaltung ist es oft schwer, Spiel von Ernst zu unterscheiden. Häufig wird allein aufgrund des Alters darauf geschlossen, dass es sich bei einer Prügelei um Spielverhalten handelt. Andere wiederum erkennen Rudelprobleme zu spät, weil sie die ernsthafte Prügelei viel zu lange als Spielkampf fehldeuten und dadurch viel zu spät reagieren.
Das Alter allein ist ein unsicheres Merkmal für die Einschäzung von Spielverhalten, vor allem, wenn die Tiere älter werden. Es gibt bessere und eindeutigere Indikatoren, anhand derer man Spielkampf von echtem Kampf unterscheiden kann (siehe nachfolgende Tabelle).

 

Merkmal Spielkampf echter Kampf

Wechselseitigkeit

besiegte Tiere kehren zum Spiel zurück; Sieger und Verlierer wechseln sich ab (Wechselseitigkeit) besiegte Tiere flüchten; keine Wechselseitigkeit, d.h. Sieger und Verlierger wechseln sich nicht ab
Angriffsziel Nacken hinterer Rückenbereich
Haare glatt anliegend gesträubt
Beißen kaum echtes Beißen; überwiegend Berührung und Reiben mit der Schnauze richtiges Beißen
Laute ~50kHz (Zwitscherlaute, nicht hörber) 20kHz-Distress-Rufe (an der menschl. Hörgrenze)

 

Der beste Hinweis auf einen Spielkampf ist, dass Sieger und Verlierer sich abwechseln. Besiegte Tiere kehren nach einer verlorenen Spielrunde aktiv zum Spiel zurück und es ist wahrscheinlich, dass sie in der nächsten Spielrunde die Gewinner sind (Meaney, Stewart 1981, S.36). Als zweiter wichtiger Hinweis gilt das Angriffsziel. Während ernsthafte Angriffe auf den hinteren Rückenbereich zielen, ist es bei Spielkämpfen der Nackenbereich. Damit wird übrigens auch deutlich, dass mit dem Spielkampf keinen Kämpfe im Erwachsenenalter trainiert werden sollen und können, da die Abwehrstrategien beim Spielkampf aufgrund des anderen Angriffszieles ganz andere sind, als beim echten Kampf.
Auch das Aufstellen von Haaren ist ein gutes Merkmal dafür, dass die Situation ernst ist. Die Merkmale Beißen oder Laute sind eher unsicher, weil man sie als Mensch überwiegend nicht wahrnehmen kann.

Prägt man sich die deutlichen Merkmale ein, kann man auch oft Verhaltensweisen beobachten, die sowohl Spaß- als auch echte Kampfelemente enthalten. Das geschieht vor allem, wenn die Tiere älter werden und die Spielhäufigkeit abnimmt. Missverstandene Spielaufforderungen (Nackensprünge) oder schlicht Unlust kann dazu führen, dass ein lieb gemeinter Anspielversuch in einem echten Kampf endet.

Wozu dient Spielen?

Spielen macht Spaß und die Entwicklung dieses Belohnungssystems zeigt, dass es einen hohen Wert in der Evolution und damit für die Tiere hat. Es handelt sich um eine eigenständige Verhaltensweise und ist keine Übung für echte Kämpfe, Jagdverhalten oder Sex (Vanderschuren et al 1997, S. 309f). Es wirkt sich positiv auf die körperlichen, geistigen und sozialen Fähigkeiten aus und ist damit ein ebenso vielfältiger wie wichtiger Bestandteil im Verhaltensspektrum eines Tieres.

Spielen unterstützt das Wachstum des Gehirns. So steigt bei Ratten während des Spiels der Gehalt eines Proteins, welches eine wichtige Rolle für die Stimulation und das Wachstum der Nervenzellen hat (Bekoff 2011, S. 172). Gleichzeitig lernen Ratten beim Spiel auch, mit der emotionalen Seite vor allem von Niederlagen zurecht zu kommen. Das kann später im Kontakt mit Artgenossen mögliche emotionale Überreaktionen verhindern, die Stress bedeuten, welcher wiederum negative Auswirkungen auf das Immunsystem haben kann (Spinka et al 2001, S.143).

Auf der körperlichen Seite werden durch das Spiel schlicht Bewegungsabläufe geübt. Die Tiere lernen, wie sie ihr Verhalten verbessern, indem sie herkömmliche Bewegungen mit untypischen Bewegungen kombinieren, um sich anschließend wieder selbst in eine Standardposition zu bringen (Spinka et al 2001, S.143).
Und nicht zuletzt ist das Spiel wichtig für die Sozialisierung der Tiere. Auch wenn Sieg und Niederlage bei Spielkämpfen relativ ausgeglichen sind, kann sich durch das Spiel eine Rangordnung entwickeln. Soziales Spiel ermöglicht es den jungen Tieren, ihren Platz in der Gruppe zu finden (Panksepp 1981, S.330). Gleichzeitig lernen sie Regeln des Umgangs miteinander. Denn jedes Spiel hat Regeln - auch bei Ratten. Wer zu heftig spielt und dem Partner möglicherweise weh tut oder zu oft gewinnt, geht das Risiko ein, dass der Spielpartner die Lust am Spielen verliert. Um das gemeinsame Spielen aufrecht zu erhalten, müssen die Tiere darauf achten, in ihren zum Teil recht grob aussehenden Balgereien nicht zu weit zu gehen. Tatsächlich ist es so, dass sich Ratten während des Spiels permanent beobachten und abschätzen und ihr eigenes Verhalten anpassen, um die Spielstimmung zu erhalten. Auch bei Ratten sind also Fairness und Vertrauen wichtig bei der Dynamik von spielerischer Interaktion (Bekoff 2011, S.180).

Auf eine Besonderheit des sozialen Spiels bei Ratten bin ich noch nicht eingegangen - dem Spiel mit dem Menschen bzw. mit seiner Hand. Wer auf diese Weise noch nicht mit seinen Ratten gespielt hat, sollte es unbedingt mal ausprobieren. Dazu entsprechend der Spielaufforderung auf Rattenart einfach mal etwas liebevoll im Nacken wuscheln. Wenn dies mit Luftsprüngen quittiert und die eigene Hand in einen Ringkampf verwickelt wird, erlebt nicht nur selbst Spielspaß, sondern genießt auch einen großen Vertrauensbeweis seiner Ratten.


Quellen:

Bekoff, Marc; Pierce, Jessica (2011): Vom Mitgefühl der Tiere. Verliebte Eisbären, gerechte Wölfe und trauernde Elefanten. 1. Aufl. Stuttgart: Kosmos.

Gattermann, Rolf (2006): Wörterbuch zur Verhaltensbiologie der Tiere und des Menschen. 2. Aufl. München: Elsevier, Spektrum Akad. Verl.

Lambert, Kelly (2011): The lab rat chronicles. A neuroscientist reveals life lessons from the planet's most successful mammals. 1st ed. New York: Penguin.

Meaney, Michael J.; Stewart, Jane (1981): A descriptive study of social development in the rat (Rattus norvegicus). In: Animal Behaviour 29 (1), S. 34-45.

Panksepp, Jaak; Burgdorf, Jeff (2003): "Laughing" rats and the evolutionary antecedents of human joy? In: A Tribute to Paul MacLean: The Neurobiological Relevance of Social Behavior 79 (3), S. 533-547.

Pellis, Sergio M.; Pellis, Vivien C. (1987): Play-fighting differs from serious fighting in both target of attack and tactics of fighting in the laboratory rat Rattus norvegicus. In: Aggr. Behav. 13 (4), S. 227-242.

Pellis, Sergio M.; Field, Evelyn F.; Smith, Lori K.; Pellis, Vivien C. (1997): Multiple Differences in the Play Fighting of Male and Female Rats. Implications for the Causes and Functions of Play. In: Neuroscience & Biobehavioral Reviews 21 (1), S. 105-120.

Pells, Serlio M.; Pells, Vivien C.; McKenna, Mario M. (1993): Some subordinates are more equal than others: Play fighting amongst adult subordinate male rats. In: Aggr. Behav. 19 (5), S. 385-393.

Spinka, Marek; Newberry, Ruth C.; Bekoff, Marc (2001): Mammalian Play: Training for the Unexpected. In: Quarterly Review of Biology 76 (2), S. 141-168.

Vanderschuren, Louk J. M. J.; Niesink, Raymond J. M.; van Pee, Jan M. (1997): The neurobiology of social play behavior in rats. In: Neuroscience & Biobehavioral Reviews 21 (3), S. 309-326.